"Das irgendwas nicht geht, nur weil ich eine Frau bin, das ist mir gar nicht in den Sinn gekommen", hat Dr. Elisabeth Hieke einmal gesagt. Sie ist ihren Weg gegangen. Mit ungeheurer Tatkraft hat sie sich in den Nachkriegsjahren für die Gründung des "Mädchenwerks" eingesetzt und damit jungen Frauen eine Berufsausbildung ermöglicht. Heute wäre Elisabeth Hieke 100 Jahre alt geworden.
Nach der Volksschule in Zwiesel besuchte Elisabeth Hieke das Mädchenlyzeum der Englischen Fräulein in Sparz bei Traunstein und die Oberrealschule in Deggendorf. Sie studierte an der Ludwig Maximilian Universität in München und an der Leopold-Franzens-Universität in Innsbruck. Sie war die erste Zwieslerin mit einem Doktortitel. Das Thema ihrer Promotion lautete: "Siedlung in einem Waldgebiet. Siedlungskunde für das Einzugsgebiet des Großen bzw. Schwarzen Regens bis zur Regener Kreisgrenze".
Im aktuellen Jahresbericht des "Berufsbildungszentrums für soziale Berufe des Mädchenwerks" hat der ehemalige Schulleiter Oskar Heindl zum 100. Geburtstag von Dr. Elisabeth Hieke einen Beitrag verfasst: "‘Geht nicht, gibt’s nicht’, dieser moderne Werbespruch könnte von der Frau Doktor, wie Elisabeth Johanna Hieke hausintern genannt wurde, selber erfunden worden sein. Wie sie, die junge Frau, das spätere Berufsbildungszentrum des Mädchenwerks Zwiesel aus einer Nachkriegsnotbaracke aufgebaut und fast vier Jahrzehnte geführt hat, das ist wohl einmalig, das wird es so nicht mehr geben und kann es so nicht mehr geben.
Frisch von der Uni war sie gekommen. Dass sie, aus einer Kaufmanns- und Bauernfamilie im damals noch bildungsfernen Bayerwald stammend, es fertig gebracht hatte, ausgerechnet Französisch und Volkskunde zu studieren und dann noch dazu zu promovieren, kann sowieso heute kein Mensch mehr nachvollziehen.
"Sie hat sich durchgebissen"
Unter welchen Umständen sie dann im letzten Kriegsjahr in Innsbruck ihren Volkskunde-Doktor gemacht hat, kann man sich auch kaum vorstellen. Zum Rigorosum, so hat mir Frau Doktor erzählt, musste sie Kerzen mitbringen, für den Fall, dass Luftangriffe die Stromversorgung zerstörten. Die Prüfung selber, so hat sie weitererzählt, war dann gar nicht so schwer, sie hat sich schon durchgebissen. Mit Gottvertrauen.
Dieses absolute Vertrauen hat sie auch gebraucht, als sie 1946 in der Baracke an der Zwieseler Bahnhofstraße an die Arbeit ging. Der Bayerische Wald war überschwemmt von Flüchtlingen, natürlich waren auch viele junge Frauen darunter, deren Familien in Notunterkünften hausten und keinerlei Berufs- oder Zukunftsperspektive hatten.
Die Frau Doktor stellte alle ihre eigenen Berufswünsche und -vorstellungen, vielleicht auch ihre Sehnsüchte in den Hintergrund, packte an und gab so vielen arbeitslosen Mädchen die Möglichkeit, sich hauswirtschaftlich schulen zu lassen.
‘Machen Sie einfach!’, hatte sie als Devise vom Passauer Caritaschef bekommen, an den sie sich um Hilfe gewandt hatte. Wie sie es machen und wie sie es finanzieren sollte, das hat ihr keiner gesagt, und daraus entwickelte die junge Frau Doktor das, was später immer ihre große Stärke sein sollte: Sie hat einfach gemacht, ihr Gottvertrauen war wirklich grenzenlos. Und was ihr an Sicherheit, an Geld oder an Person noch fehlte, das hat sie sich in unzählig vielen nächtlich-einsamen Stunden ‘erbetet’. ‘Derbett’, wie die Tiefgläubige, die den Bayerwalddialekt nie abgelegt hat, es so schlicht formuliert hat.
‘Not sehen und handeln.’ Dieser Leitspruch der Caritas könnte von ihr stammen. Dass sich aus diesem ‘Notprogramm’ das Mädchenwerk, ein Berufsschulzentrum mit Internat entwickeln würde, hatte sich damals niemand vorstellen können.
Schulordnungen waren der Frau Doktor ein Graus, darüber hat sie sich hinweggesetzt, wo immer es nötig war. Viele schulischen Aufgaben hat sie anderen Personen überlassen, da war sie großzügig. Die Zügel allerdings behielt sie immer in ihrer Hand.
Frau Doktor hatte einen eigenwilligen, sehr exquisiten Geschmack, sowohl in Bezug auf ihre Kleidung, als auch bei der Architektur und Inneneinrichtung. Wer sich das Gebäude der Fachakademie, die Aula, die Klassenzimmer anschaut und nur ein wenig Ahnung von Schulhausbau hat, der kann sehen, welche Kraft erforderlich war, so einen Bau zu errichten, in einer Zeit, da die genormten Betonplattenschulbauten der Standard waren.
Straße soll nach ihr benannt werden
Kein Raum im Fachakademiegebäude ist rechtwinklig. Betonwände, -träger - und -pfeiler sind als Kunstwerke gestaltet, kunstgeschmiedete Treppengeländer, zeitlos schönes Steingut, Terrakottapflaster und das alles von einer Qualität, Dauerhaftigkeit und Langlebigkeit,die mich immer wieder an den Spruch denken lässt, mit dem ich erzogen worden bin: ‘Mir samma zu arm, als dass ma uns a Glump leisten kanntn’. Gegen alle Widrigkeiten hat sich Frau Doktor durchgekämpft, hat sich mit dem Gebäude selber ein Denkmal gesetzt.
Frau Doktor hatte einen eigenen Kopf - hat aber für ihre ‘sozialen Leistungen’ alles geopfert: ihr Erbe, ihr Privatleben, ja eigentlich ihr ganzes Leben hat Frau Doktor ihrer Idee geopfert, junge Menschen zu fördern. Ihre engere Familie war anfangs nicht sehr begeistert vom Engagement der Frau Doktor, ebenso wenig haben es die meisten Zwiesler geschätzt, was sie da aufgebaut hat. Frau Doktor war ihnen zu intellektuell, vor einer Frau ihres Kalibers hatten die meisten Angst. Wohl auch die meisten Bürgermeister der Stadt Zwiesel mitsamt dem Stadtpfarrer Franz Xaver Neun
Sogar der Doktortitel hat der Hieke Elisabeth sowohl geschadet als genutzt. Sie war die erste Zwieslerin, die promoviert hat, und das ist bei vielen Kleingeistern nicht gut angekommen. Aber sie selbst hat behauptet, dass dieser Titel ihr als Frau am meisten geholfen habe, obwohl er sie am wenigsten gekostet hat.
Erst von Stadtpfarrer Helmuth Schuler und Bürgermeister Georg Haberland wurde die Lebensleistung der Frau Doktor anerkannt. Haberlands Nachfolger im Bürgermeisteramt, Alois Feitz, hatte schon Respekt vor der Größe dieser Frau und hat dies auch gezeigt. Aber er war halt ein Sozi - und die Sozis mochte Frau Doktor noch weniger als die Schulordnung."
Um ihre Verdienste für Zwiesel zu würdigen, hat der Stadtrat beschlossen, einen Teil der Jahnstraße in Dr.-Elisabeth-Hieke-Straße umzubenennen. Noch ist der Beschluss nicht vollzogen worden.